Miriam Huschenbeth

geboren in Schramberg, 1976, lebt und arbeitet in Niedereschach-Fischbach
Vita

2007-2009 Studium an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart Intermediales Gestalten mit Schwerpunkt Performance

2002-2007 Studium an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe: Malerei und Zeichnung

Stipendien / Preise / Förderungen / Kunst am Bau

2023 ausgezeichnet mit dem 1 Platz des Publikum Preises vom Kunstverein Badnauheim

2010 Sonderpreis Kunst am Bau Wettbewerb Stuttgart

2009 Projektstipendium -Gruppenstipendium an der Akademie Schloss Solitude: der Lichtgestaltung zu einer Inszenierung des Schlosses Solitude zu einer Freilichtoper

INTERVIEW mit Miriam Huschenbeth
Über den künstlerischen Prozess

K3: Welche Materialien und Techniken bevorzugen Sie?
Miriam Huschenbeth (MH): Beim Schaffen meiner Werke verwende ich hauptsächlich einen Cutter und schneide in Papier. Ich arbeite dabei parallel mit Tusche oder auch Bleistift. Es ist ein Wechselspiel zwischen dem Herausarbeiten durch Farbe und dem Schneiden. Hohlräume, Leerformen gegenüber gemalten Flächen. Dichte Farbschichtdecken gegenüber den Durchblicken in den Raum. Mir gefällt am Scherenschnitt, dass er sich zwischen den Dimensionen zu befinden scheint, auch wenn der Scherenschnitt selbst zweidimensional ist, wirkt er am besten in der Dreidimensionalität, wenn er mit Abstand vor einer Wand hängt und somit ein Schattenwurf entsteht, oder wenn man mehrere Scherenschnittebenen übereinander lagert und damit fast schon einen Reliefcharakter erzeugt. Ich arbeite in verschiedenen künstlerischen Bereichen. Textfragmente, die ich schreibe, beeinflussen wiederum meinen künstlerischen Gedankenraum. Klangcollagen, performative Bilder werden dazu ergänzt. Ich sehe das aber als ein Ganzes an. Mein Versuch ist es sie ineinandergreifen zu lassen.

K3: Haben Sie bestimmte Rituale oder Gewohnheiten während des Schaffensprozesses?
MH: Ich höre gerne Musik. Meine beste Zeit sind die Morgenstunden. Ich begleite meinen Sohn zu Fuß zum Schulbus. Die frische Luft macht mich wach. Wenn ich dann einen Kaffee trinke, beginnt erst einmal das Schauen und Denken an welcher Stelle ich weiterschneiden werde. Welche Form usw. Was ich an den frühen Morgenstunden liebe, die Gedanken sind frisch wie der junge Morgen.

K3: Gab es einen prägenden Moment in Ihrer künstlerischen Laufbahn?
MH: Beim Studium an der Kunstakademie intermediales Gestalten in Stuttgart habe ich das Szenische und Performative für mich entdeckt. Mein Professor Joachim Fleischer hat mein Schaffen geprägt. Er hat mir ein ganz neues Kunstschaffen eröffnet. Wir haben in Gruppen Stücke erarbeitet. Jeder hatte die Aufgabe zu einem Thema einen eigenen kleinen Teil dazu zu entwickeln, der dann im Zusammenhang ein Ganzes ergab. Wir haben mit anderen künstlerischen Bereichen zusammengearbeitet zum Beispiel mit der Musikakademie Berlin, dem Figurentheater, oder das Schloss Solitude mit Licht inszeniert. Für mich hat sich mein Horizont geweitet. Ich finde es sehr spannend die Grenzen der verschiedenen Kunstbereiche aufzuweichen und zu verschmelzen.

Zur Inspiration und Motivation

K3: Welche Erfahrungen haben Ihre Kunst beeinflusst?
MH: Das ist eine komplexe Frage. Mein ganzes Leben hat mich beeinflusst. Es ist schwierig das einzeln herauszukristallisieren. Es ist wie ein gewebter Teppich aus Fragmenten, der mich grenzenlos mit allem um mich herum verschmilzt. Es ist der Fokus, den ich setze, mal schält sich ein Fragment in den Vordergrund und verknüpft sich ständig in neuer Weise zu einer flimmernden Farbwelt. Vielleicht kann ich sagen, dass mein kindliches Universum immer noch prägend für mein Schaffen ist. Als Kind hast Du das unmittelbare Verwoben Sein mit Deiner Umwelt, mit allem um Dich herum. Ich habe die Natur, das Erleben in ihr, viel intensiver wahrgenommen. Jeder Stein konnte mit mir kommunizieren, die Gerüche, die Geräusche, allem wohnte ein Zauber inne und Zeit konnte Ewigkeit bedeuten. Gleichzeitig das Hineingeworfen werden in diese Welt, das Ausgeliefertsein als Kind. Diese Parallelwelten haben mich geprägt. Ambivalente Dinge interessieren mich. Diese Grenzsituationen finde ich heute in meinem Schaffensprozess spannend.

K3: Gibt es bestimmte Künstler*innen, Themen oder Ereignisse, die Ihre Arbeit beeinflussen?
MH: Ich habe lange in der Staatsgalerie Stuttgart Führungen gemacht. Zur Vorbereitung bin ich sehr gerne stundenlang dort verweilt und habe mir Bilder ausgewählt sie lange betrachtet und genau „Hinschauen“ versucht. Auch die gedankliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Kunstwerken und ihre Geschichte dahinter haben mich fasziniert. Es ist kein bestimmter Künstler, der mich geprägt hat, sondern die Auseinandersetzung mit Kunst und Geschichte, dem Menschsein, das sich darin und in den verschiedenen Zeiten widerspiegelt und nun letztlich mein eigenes Schaffen prägt. „Leben gehen durch mich durch.“

K3: Was möchten Sie mit Ihrer Kunst bei den Menschen erreichen?
MH: Bei meinem Schaffensprozess arbeite ich über Monate an einem Scherenschnitt. Dabei entwickelt sich dieser Schnitt jeden Tag ein Stückchen weiter. Ich versuche in diesem Gewirr an Schnitten und Flächen und Hohlräumen eine Spur zu legen, die sich immer wieder verliert. Mein Schaffensprozess bringt mich oft an Grenzsituationen zwischen der Form, die definierbar scheint, und im gleichen Moment nicht greifbar bleibt. Es ist eine Art „Zwischenraum“, in dem ich eine Erzählstruktur andeute und sie wieder auflöse. Es gibt somit unzählige Blickwinkel und Möglichkeiten sich einen eigenen Weg durch meine Scherenschnitte zu bahnen. Auch beim nochmaligen Betrachten können sich ganz andere Zusammenhänge erschließen. Es sind unzählige Fragmente, die immer wieder neue Konstellationen zueinander einnehmen. Für mich ist es eine gelungene Arbeit, wenn der Betrachter sich seinen eigenen Weg durch die Verflechtungen bahnt sich darin verliert.

K3: Welche Rolle spielt die Gesellschaft in Ihrer Arbeit?
MH: Meine Arbeitsweise sehe ich als künstlerische Auseinandersetzung mit dem Menschsein, der Versuch es sichtbar zu machen an meinen eigenen Empfindungen. Innere Verluste, aber auch von außen gegebenen Veränderungen können uns in einen „Schweberaum“ versetzten, und es geht darum sich ständig wie ein Chamäleon den gegebenen Umständen anzupassen, sich neu zu verorten, die Welt neu zu begreifen. Meine Arbeiten sind ein ständiger Versuch mir die Welt anzueignen. Ich lebe mit meinem Empfinden in dieser Welt, in dieser Zeit, die spürbare kollektive Angst, um die Veränderung in der Natur, Umbrüche, Krieg. Somit fließt das alles auch in meinen Schaffensprozess mit ein.

Zur Bedeutung und Interpretation

K3: Wie möchten Sie, dass Ihre Kunst von den Betrachter*innen interpretiert wird?
MH: Ich möchte nicht mit einem Fingerzeig auf eine bestimmte Betrachtungsweise hinaus. Meine Titel oder auch einige Elemente im Werk können Assoziationen hervorrufen. In einigen Scherenschnitten habe ich mich mit der Verflechtung von Mensch- und Natur auseinandergesetzt. Veränderungen in der Natur, die mir Angst machen, die ich beobachte. Neue Formen, die durch uns entstehen, allein deshalb, weil wir Schritt für Schritt gehen, bilden sich neue, aber auch fremde Wege. Ein Werk heißt zum Beispiel „Woher Wohin-Wege Fremdgestalt annehmend“. Der Betrachter kann sich seinen eigenen Weg durch die Verflechtung von Natur und menschlichen Spuren in diesem Werk bahnen und sein eigenes „Fühlen“ kann im besten Falle angeregt werden.

K3: Gibt es eine bestimmte Emotion oder Botschaft, die Sie vermitteln möchten?
MH: Die Bildwelten, die entstehen, lassen für mich immer Fragen über unsere körperliche Existenz hinaus zu, etwas, was mit Mathematik und Wissenschaft nicht mehr erklärbar ist. Es ist ein Wechselspiel zwischen Universum und Individuum. Grenzenlosem, Unerklärlichem und Hoffnungsvollem gegenüber unserer körperlichen Begrenzung. Wo hört mein Körper auf? Wo fängt er an? Es hat auch mit Traum zu tun. Damit, was Realität überhaupt ist. Ein Wechselspiel in meinen Bildern zwischen Abstraktion, Auflösung und eingefrorenen Momenten.

K3: Gibt es eine persönliche Verbindung zu einem Ihrer Werke, die Sie teilen könnten?
MH: Allein dadurch, dass ich sie mache, ist eine persönliche Verbindung entstanden. Es ist kein reines Ausschneiden und somit auch nicht möglich, dass ich jemanden anders zum Ausschneiden anstellen könnte. Es ist eine langwierige Auseinandersetzung.

K3: Inwiefern spiegeln Ihre Werke Ihre persönliche Entwicklung oder Erfahrungen wider?
MH: In meinen Werken setze ich mich stark mit existenziellen Zuständen auseinander. Durch meinen Körper kann ich hier Erfahrungen machen. Ich kann atmen, den Wind auf meiner Haut spüren, schauen, mich erinnern und wieder vergessen. Man speichert Ding um Ding ab. Es geht um die Überlagerung von Wahrnehmung. Bei der Speicherkarte kannst du gezielt und präzise Abgespeichertes abrufen. Ich meine aber ein unbewusstes Abrufen. Auch Teile, die einem vielleicht selbst fremd sind, obwohl man sie in sich trägt. Es können Wünsche, Sehnsüchte, Träume, Erinnerungen, sein. Je länger man lebt, desto mehr Erinnerung hat man. Aber desto mehr vergisst man leider auch, oder wandelt das Erinnern in neue Zusammenhänge. Man erschafft sich eigene Verknüpfungen, neue Realitäten und verliert gleichzeitig. Vielleicht ist dieses Thema prägend für mich, da ich viele Verluste, „Verschwinden von Leben“ erfahren habe. Ich habe zwei Schwestern sowie meinen Vater verloren, viel zu früh. Welche Räume nehmen wir ein und was bleibt, wenn wir gehen und wo gehen wir hin? Das sind auch Themen, die mich in meinem Schaffen begleiten.

Nach der Rezeption durch das Publikum

K3: Welche Reaktionen oder Interpretationen von Betrachter*innen haben Sie am meisten überrascht oder berührt?
MH: Ich bin am meisten berührt, wenn ich merke, dass meine Bilder und der Betrachter in einen Dialog treten. Einmal saß eine sehr alte Dame auf einem Stuhl vor meinem Scherenschnitt. Sie hat dort eine sehr lange Zeit verbracht. Ich kam mit ihr in ein Gespräch. Auf meinem Scherenschnitt, den sie betrachtete, ist ein Junge mit geschlossenen Augen in einem abstrakt gewebten Geflecht aus Schnitten. Sie erinnerte sich an ihren Bruder, den sie im Krieg verloren hatte. Er ist mit 16 Jahren im zweiten Weltkrieg an der Front gewesen. Einige Briefe und dann Stille. Er galt lange Zeit als vermisst. Bis ein junger Mann, ein Kamerad von ihrem Bruder, zu ihnen auf den Hof kam und über seine letzten Tage, die er mit ihm verbracht hatte, berichtete, auch wie er gestorben ist. Die alte Dame war damals 12 Jahre, wie der Junge auf meinem Bild. Der Scherenschnitt heißt „Und es bleibt in mir“. Genau das ist bei der alten Dame passiert. Sie hat sich erinnert. Ich war sehr berührt.

K3: Wie fühlen Sie sich, wenn jemand Ihre Kunstwerke erwirbt und in sein Zuhause integriert?
MH: Wenn es ein ganz neu entstandenes Werk ist, fällt es mir schwerer, da ich noch nicht so viel Zeit mit diesem verbracht habe. Einmal habe ich eines direkt nach dem Entstehen verkauft, das war ein komisches Gefühl. Ansonsten freue ich mich einfach sehr, dass jemand das Werk bei sich zuhause haben möchte.

Zur Entwicklung und Zukunft

K3: Wie hat sich Ihre Kunst im Laufe der Zeit entwickelt?
MH: Im Laufe der Zeit habe ich immer besser geschafft die verschiedenen Bereiche – Performance, meine Texte, Film, Klanginstallationen, Malerei miteinander zu verbinden. Ich habe diese Kunstsparten oft sehr getrennt voneinander gesehen. In meiner letzten Ausstellung „Durchblicke -Licht und Schatten“ im Kunstraum Königsfeld habe ich meine Scherenschnitte filmisch nochmals geschnitten und dies auf mich projiziert, dazu meine fragmentierten Texte gesprochen und in meinen Scherenschnitten agiert. So habe ich alle Bereiche ineinander verzahnt.

K3: Gibt es neue Techniken oder Stile, an denen Sie arbeiten?
MH: Das Singen habe ich seit kurzem für mich entdeckt. Ich habe seit kurzem Gesangsunterricht.

K3: Haben Sie zukünftige Projekte oder Ziele, die Sie teilen möchten?
MH: Ich hoffe auch mit dem Singen zu meiner Kunst noch eine Brücke hinüberzuschlagen. Vielleicht in meiner Performance.

K3: Welche Tipps geben Sie jungen Künstlerinnen und Künstlern?
MH: Dranbleiben und offen sein für neue Impulse.

K3: Was halten Sie von der Digitalisierung des Kunstmarktes und wie beeinflusst Sie das in Ihrer Arbeit?
MH: Naja, es ersetzt einfach nicht den analogen Dialog. Ergänzend ist es sicherlich eine Verbesserung und ermöglicht einem einen großen Überblick. Die Auseinandersetzung mit dem Original finde ich aber das, was für mich Kunst ausmacht.

K3: Danke Miriam Huschenbeth für die tiefen Einblicke.

 

Einzelausstellungen (Auswahl)

2023 Einzelausstellung im Kunstraum Königsfeld (Kunstverein)

2020 Einzelausstellung im Kunstraum Königsfeld (Kunstverein)

2011 Einzelausstellung in Schramberg, Schloss, Podium Kunst (Kunstverein)

2007 Einzelausstellung Produzentengalerie Karlsruhe

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2023 Gruppenausstellung Bad Nauheim

2021 Performance Podium Kunst,
Gruppenausstellung Podium Kunst

2018 Schwerpunkt Galerie Gruppenausstellung in Feuerbach

2015 Gruppenausstellung Podium Kunst

2011 Showroom/Stuttgart Performance

2009 Künstlerhaus Stuttgart Performance

2004 „Twin Vision“/Nottingham (England)

2002 Galerie Kitap Evi/Bursa (Türkei)

 

Werke von Miriam Huschenbeth